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Die Google Strategie: WFA-Projekt / Sandbox-Technologie

Ausgangslage

Der milliardenschwere Media- und Werbemarkt insbesondere für Bewegtbild / Video steht vor großen Veränderungen. Die Budgets zwischen linearem und non-linearem Fernsehen, Streaming oder Online-Video werden neu verteilt. Schon heute zeichnet sich ab: Die jährlichen Zugewinne kommen inzwischen fast ausschließlich den digitalen Kanälen zugute, vor allem den Plattformen Google, Facebook und Amazon. Diese können ihre Werbeerlöse nach den Prognosen der Agenturen und Verbände (u.a. ZAW, BVDW und OMG) weiter steigern, während „klassische“ Medien eher stagnieren oder verlieren werden.
 Vor diesem Hintergrund gewinnt eine neutrale und objektive Leistungsbemessung der Kanäle und Plattformen immer stärker an Bedeutung. Der deutsche Werbemarkt zeichnet sich traditionell durch große Transparenz und Vergleichbarkeit aus. Das ist maßgeblich auch das Verdienst der JICs (Joint Industry Committees) wie AGMA, AGF oder agof. Trotz langjähriger Verhandlungen ist es aber bislang nicht gelungen, Google oder Facebook in die marktübergreifende Reichweitenmessung einzubinden.

Wir gehen aktuell davon aus, dass Google – und nachrangig auch Facebook – planen, ihre Walled Gardens und ihre Dominanz von anderen Märkten auf den gesamten Video-Werbemarkt auszurollen, indem sie ein marktübergreifendes Messsystem entwickeln und den Kunden direkt anbieten. Die Konsequenz wäre nicht nur, dass das bestehende deutsche marktneutrale Messsystem ersetzt würde, sondern durch die Erweiterung der Dienstleistungen der Werbemarkt in eine weitere Abhängigkeitsstufe geraten würde.

Google´s Strategie

Ziel des Unternehmens ist es, ein global funktionierendes Ökosystem für die Medienmärkte aufzubauen und zu betreiben, um eine dominierende Vermittlerrolle einzunehmen. Diese Strategie basiert aktuell maßgeblich auf zwei Projekten:

  • der Sandbox-Browser-Architektur und
  • Google´s Beitrag zum WFA-Ansatz für einen globalen Videostandard.

Hintergrund

Die Browser-Hersteller werden zum Gatekeeper der Privacy Einstellungen seitens der Nutzer. Dazu stellt Google mit Android das führende Betriebssystem für mobile und auch zum Teil für stationäre Endgeräte (Sony, Philips, TCL).

Sandbox

Im August 2019 hat Google angekündigt „Third Party Cookies“ zu blocken und den eigenen Browser Chrome über die „Sandbox“-Technologie so weiterzuentwickeln, dass darauf alle Daten verarbeitet werden können, die für die Mediaplanung und den -einkauf benötigt werden.

Das soll so funktionieren: Nachdem der User einmal zugestimmt hat, wird sein gesamtes Nutzungsverhalten über eine Software im Browser aufgezeichnet. Der Nutzer entscheidet nicht mehr, von wem er Cookies zulässt oder nicht. Mithilfe der Sandbox-Technologie können detaillierte Profile für die einzelnen Benutzer erstellt werden. Diese Informationen werden im Browser „monopolisiert“ und an die Medien nach Auktionierung ausgeliefert. Den Werbetreibenden oder Agenturen werden diese Daten wiederum nur aggregiert zur Verfügung gestellt. Die Folge: Die Qualität der Messung und Aussteuerung von Kampagnen durch die Agenturen und Werbungtreibenden dürften sich deutlich verschlechtern und eine unabhängige Nachprüfung der Leistungswerte verhindert werden.

In einem weiteren Schritt kann Google diese Server- und Browser-Technologie mit Daten zur Mediennutzung aus anderen eigenen Services – insbesondere Video (z.B. YouTube) – aber auch aus weiteren Datenquellen (z.B. GfK-GXL Panel inkl. TV-Nutzungsdaten) verbinden und darüber crossmediale Leistungsdaten für Bewegtbild generieren.

Problematisch erscheint dagegen die Steuerung und Kontrolle eines solchen Systems – sowohl global als auch in den lokalen Märkten. Auch ist die Finanzierung dieses Ansatzes derzeit noch ungeklärt.

Zu befürchten sind ein hoher Grad an Intransparenz sowie Dominanz durch Google. Derzeit ist kein verbindliches Governance Modell vorgesehen, das gewährleisten würde, dass eine neutrale Organisation wie z.B. ein JIC (Joint Industry Committee, z.B. AGF) die Messung unabhängig einer Dominanz von Plattformen, Medien und Werbungtreibenden sowie ihren Agenturen, methodisch transparent und in den Konventionen abgestimmt im Interesse aller Marktteilnehmer vornimmt. Im Gegenteil: Da in den USA bisher keine solche Organisation existiert und auch nicht geplant ist, ist davon auszugehen, dass Google die marktübergreifende Messung technisch und faktisch übernimmt.

Die Erfahrungen der AGF bei dem Versuch, Google bei der Bewegtbildmessung in Deutschland im Rahmen einer Mitarbeit einzubinden, legen nahe, dass langfristig Google die Messung weltweit nicht nur, sondern auch über Bewegtbild / Video hinaus für andere Werbebuchungen anbieten will.

Eine deutsche Sicht auf den WFA Ansatz

Die Organisation der Medienagenturen (OMG) hat in Abstimmung mit dem Kundenverband OWM gegenüber der WFA erklärt, dass sie den Vorschlag der WFA in technischer und methodischer Hinsicht grundsätzlich unterstützt.

Allerdings wird gefordert, dass folgende Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen:

  1. regionale und lokale Anpassungsmöglichkeiten, um spezifische Unterschiede in den Märkten abbilden zu können,
  2. operativer Betrieb unabhängig von einem Marktteilnehmer, seien es Plattformen, Medien und Kunden/Agenturen
  3. Transparenz zu Erhebungsmethoden und Bewertungsstandards,
  4. Messung auf der Basis eines offenen Marktstandards.

Sollten diese Punkte keine Berücksichtigung finden, besteht die Gefahr, dass …

  • die Geschäftsmodelle der Mediaagenturen sowie die Vermarktungsmodelle der Medienanbietern ausgehebelt werden,
  • werbungtreibende Unternehmen in eine langfristige Abhängigkeit von Google/Facebook geraten,
  • ein großer Teil der gesamten Medien-Wertschöpfungskette auf Google verlagert wird, wobei die Kunden schließlich direkt angesprochen und vermittelnde Zwischenhändler ausgebremst werden.
  • Denn: Die Preisbildung für Werbezeiten findet nun nicht mehr am Markt zwischen Werbekunden, Agenturen und den Vermarktern der Publisher statt, sondern wird ins Google Browser System verlagert, so dass die Vermarkter ihre Preishoheit für das ins System eingestellte Inventar verlieren.
  • Das bedeutet auch, dass die Bewertung der Reichweiten und damit der Wertigkeit des Inventars nun nicht mehr der methodischen Transparenz und der abgestimmten Konventionen des Marktes, sondern den Walled Gardens von Google unterliegt.

Mögliche Auswirkungen für den Markt

Die vorgelegten technischen Lösungen des WFA Ansatzes wurden fast ausschließlich von Google, unterstützt durch Facebook, eingebracht und unterliegen globalen Patenten seitens Googles. Ein verbindlicher Prozess, der die Berücksichtigung der Interessen aller Marktteilnehmer sowohl auf regionaler wie europäischer Ebene festlegt, steht nur in Ansätzen zur Verfügung. Das Konzept entsteht derzeit maßgeblich unter Google´s Ägide.

Beide Projekte in Kombination legen nahe, dass Google einen weiten Teil der Wertschöpfungskette im Mediamarkt „übernehmen“ will: Die Werbungtreibenden werden darauf reduziert, ihre Kampagnenziele und Werbemittel bei Google einzugeben. Die Publisher sollen auf der anderen Seite ihr Inventar unter Angabe von Mindestpreisen angeben. Eine individuelle Kampagnenplanung durch Agenturen entfällt, denn die Steuerung von Kampagnen läuft nur noch über Google, bis hin zur Rechnungsstellung für die Medien. Dies würde dann nicht nur für Google´s eigene Kanäle gelten, sondern auch der Konkurrenten, insbesondere TV. Die Kundendaten, User-Profilierungen und Algorithmen zur Reichweitenmessung werden dann fast ausschließlich von einem einzigen Unternehmen kontrolliert – weltweit. Publisher und Werbungtreibende würden damit de facto ihre Endkundenbeziehung und das damit verbundene Know-how verlieren.

Fazit

Google hat mit beiden Projekten das Potenzial, das weltumspannende Ökosystem für den Werbemarkt zu werden. Ein von Google angebotenes marktübergreifendes Reichweitenmesssystem nimmt den Marktteilnehmern bei allen Transparenzversprechen und Mitwirkungsangeboten die Mitbestimmung, die für einen neutralen und offenen Standard notwendig ist.

Vor allem für TV könnten die Auswirkungen alarmierend sein: Ein einziges Unternehmen, das zudem über YouTube mit den Bewegtbildkanälen heftig konkurriert, bewertet nicht nur die Vergleichbarkeit der Reichweiten, sondern hat darüber hinaus das alleinige marktübergreifende Know-how des Kundenverhaltens.

Durch die Abschaffung der Third Party Cookies und der Einführung der Sandbox-Technologie wird darüber hinaus die Kundenprofilierung bei Google monopolisiert.

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